nrwjazz.net, 27.08.2021

JAZZPIYA | Orient trifft Okzident am Theater an der Ruhr

Mülheim a.d.R., 27.08.2021 | Strahlender Sonnenschein nachmittags um Fünf. Regen ist vorhergesagt worden und die Band ist gut überdacht auf einem LKW untergebracht. Eine 'Weiße Nacht' ist das nun gerade nicht. Egal, ich sitze jedenfalls in der Sonne und genieße dieses großartige Ambiente.

Text & Fotos: Heinz Schlinkert

location: Theater an der Ruhr im Raffelbergpark

Im Mülheimer Raffelbergpark befindet sich das Theater an der Ruhr. Seit 2003 finden dort im Sommer an mehreren Sommerabenden die Weißen Nächte statt. Beeindruckend ist vor allem der Park als Kulisse, denn Konzerte und Theateraufführungen finden dort oft unter freiem Himmel statt. Ich erinnere mich noch an ein Theaterstück des Regisseurs und Theaterleiters Roberto Ciulli auf einer großen Wiese mit vielen Clowns

Band

Die kurdisch-türkisch-deutsche Band gehört zur Duisburger Szene und scheint dort gut bekannt zu sein, viele Kurden sind da. Einige versuchen die Lieder mitzusingen, was wohl nicht immer leichtfällt, denn sie sind in Kirmanci geschrieben, einer aussterbenden Sprache der osttürkischen Region Dersim. Piya bedeutet in dieser Sprache ’gemeinsam, zusammen‘.

Necati Teyhani spielt Bağlama (dreiseitge Langhalslaute) und singt, er hat die Band gegründet und einige Stücke komponiert. Zusammen mit Gürsoy Tanç (Gitarre) war er in Workshops auch musikpädagogisch tätig. Cem Tikil spielt Baglama Tenbur, Balaban (Schiffsrohrflöte) und Duduk. Martin Pauls, der Schlagzeuger, spielt hier Cajón.

Jazzfans gucken wahrscheinlich reflexhaft erstmal auf André Meisner und sein Sopran- und Alt-Saxophon. André ist in der Jazzszene bekannt und hat u. a. zusammen mit Jan Klare experimentelle Konzertreihen wie "Druck im Raum" in Duisburg organisiert. Er spricht sicher kein Kurdisch, als Mitglied von JAZZPIYA lernte er aber das Instrument Duduk kennen; 2017 bei einer Armenienreise konnte er es intensiv studieren. Duduk ist ein Holzblasinstrument mit einem sehr großen Doppelrohrblatt, das bis zu zehn cm lang und bis zu drei cm breit ist. Es ist eins seiner Hauptinstrumente geworden, das er auch in diesem Konzert oft spielt. Erst im letzten Juni hat er zusammen mit Hovhannes Margaryan im Moerser Schlosshof ein Konzert mit zwei Duduks gegeben.

Orientalische Musik + Jazz = ??

Orientalische Musik und Jazz, wie geht das zusammen? Das frage ich mich oft während des Konzerts. Im Grunde ist die Kombination nicht neu. Gilad Atzmon zum Beispiel hatte dies schon vor 20 Jahren mit seinem Orient House Ensemble versucht. Allerdings klang das ganz anders als die Band heute.

Ich verstehe nicht viel von dieser Musik und nehme vor allem viele Wiederholungen wahr, alles scheint fest gefügt zu sein. Jazz dagegen lebt von Variation und Improvisation. Wie das doch zusammengeht, erfahre ich erst nach einem kurzen Interview mit André Meisner. Es geht mal wieder um die ‚Ohren‘. Wir Jazzfans hören oft nur den Jazz heraus, aber nicht die Finessen in der orientalischen Musik. Andersherum fällt es z. B. den Kurden schwer eine Bluesskala nachzuspielen, weil sie ganz andere Wahrnehmungsstrukturen entwickelt haben. André erzählt mir hinterher, dass auch die anderen Musiker in diesem Konzert oft improvisiert haben, nur auf ganz andere Weise. Vierteltöne, die in der europäischen Musik gar nicht vorkommen, können bewirken, dass uns Melodien unvertraut und manchmal sogar falsch bzw. verstimmt vorkommen.

Ich kann darum nur Jazz-Improvisationen heraushören: kleine Variationen auf dem Cajón von Martin Pauls; Soli von André Meisner, der schon allein visuell mit den Saxofonen den Jazz symbolisiert. Ich weiß leider nicht, wie die vielen Stücke des Konzerts heißen, geschweige denn wie man sie schreibt. Bei Ninnaye kann man jedenfalls gut hören, wie André soliert: manchmal eng an der Melodie, manchmal darüber hinaus, einmal sind sogar Blue Notes zu höre

Die Improvisationsstrukturen der orientalischen Musik sind grundsätzlich anders angelegt. Es gibt dafür Konventionen, die man erstmal kennenlernen muss. Der Klang des SopranSax passt besonders gut in die orientalische Musik, aber auch das Alt spielt André so, dass es sich perfekt in den Sound der Band einfügt.

PIYA - gemeinsam. Das gilt für die Band, für die Beziehung von Band und Publikum, letztendlich aber für alle Menschen, die Migration als Chance und als Bereicherung betrachten.

Wie meinte Gilad Atzmon 2000:

“It’s about the grace of migration, it’s about the joy of strangeness. Being diverse we have managed to celebrate our differences.“

Besser kann man es kaum sagen.

Ninnaye kann man in etwas anderer Besetzung in einem Konzert von 2014 hören (AltSax-Solo ab 3‘.08):

André Meisner hat zusammen mit Hovhannes Margaryan vor kurzem den Deutschen Duduk Verein gegründet. Die Webseite www.duduk-ev.de ist wird im Laufe des Septembers online gehen.